Textatelier
BLOG vom: 19.01.2014

Aus der Lebenserfahrung entstanden seine Metaphern

Autorin: Rita Lorenzetti, Zürich-Altstetten
 
Ich wischte den Boden im Wäschetrocknungsraum und dachte an Fritz. Ich fragte mich wieder einmal, ob er mit mir zufrieden wäre, mich in seinem Gestaltungsbüro einstellen würde. Er erzählte mir vor etwa 30 Jahren einmal, dass er den modernen Bewertungskriterien bei der Auswahl von Angestellten misstraue. Es reiche doch, einer Person den Auftrag zu geben, einen Raum zu wischen und ihr zuzuschauen, wie sie vorgehe. Da komme die persönliche Übersicht zur Geltung. Und man sehe sofort, ob jemand eine Aufgabe systematisch angehen könne.
 
Ein andermal sprach er vom Spiegelei. Auch dieses sei geeignet, um einen Kandidaten oder eine Kandidatin auszuwählen. Dabei ging es dann um Feingefühl und Geduld. Auch um die Qualität der Sinne und die Beobachtung. Wie ein Ei in die Hand genommen und aufgeschlagen werde. Und ob die Butter massvoll erhitzt worden sei. Sicher hatte er noch viele solch vergleichende Bilder auf Lager. Die beiden erwähnten sind in mir in lebhafter Erinnerung geblieben.
 
Wäre Fritz noch am Leben, würde er demnächst 100 Jahre alt. Er war Gestalter, Innenarchitekt, ein schöpferischer Mensch. Die Qualität seiner Ideen und Entwürfe entsprach den Qualitäten der Schweiz von einst. Er setzte seine Talente gerne für sie ein und hatte Erfolg. Seine mit Partnern geführte Firma war denn auch eine Talentschmiede.
 
Aus dem Lebenslauf, der bei seiner Beerdigung vorgelesen wurde, tauchte nochmals ein typisches Muster seiner Beobachtungen auf. Es wurde berichtet, wie er sich im Spital beklagt habe. Er soll gesagt haben: Von einem Arzt erwarte ich, dass er mir in die Augen schaut, nicht ständig in den Computer. Der Mensch hatte für ihn umfassenderen Stellenwert als die Technik.
 
Mir gefallen solche Überlegungen, weil ich selbst auch nicht mehr jung bin. Bevor der Computer in alle Berufsbereiche einzog, betrachtete man das Leben als etwas Ganzheitliches. Die Freude am Detail und an rechnerischen Analysen war noch nicht abgespaltet.
 
Fritz suchte immer nach dem Augenmass, nach der Verhältnismässigkeit einer Sache, einer Sorge, einer übertragenen Arbeit. Ihnen in die Augen zu schauen, bedeutete, das Lebendige zu ergründen. Er wollte dem Innersten gerecht werden und es auch berühren.
 
Wenn er in unsere Werkstatt kam, dann suchte er nach geeignetem Holz für einen Auftrag. Er nannte keine Namen, auch keine bestimmte Farbe, die ihm vorschwebte. Er umschrieb sie, erklärte beispielsweise, er wolle den Eindruck einer von den Jahreszeiten gegerbten Scheunenwand darstellen.
 
Heute kommen Designer mit einer Farbkarte, nennen Namen und Nummer. Ihre Gestaltungen sind in unseren Augen dementsprechend kühl. Und doch werden auch sie dem Leben in die Augen schauen, einfach aus einem anderen Blickwinkel heraus.
 
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